Diese Website verwendet Cookies. Warum wir Cookies einsetzen und wie Sie diese deaktivieren können, erfahren Sie unter Datenschutz.
Zum Hauptinhalt springen
Heike Hänsel, MdB Pressefoto

Heike Hänsel, MdB

Kurzbriefing zum Putschversuch in Venezuela

- Am Nachmittag des 23. Januar (Ortszeit, ca. 18.45 Uhr unserer Zeit) putscht in Venezuela die Opposition, Parlamentspräsident Juan Guaidó von der ultrarechten Partei »Volkswille« (VP, Voluntad Popular) erklärte sich bei einer Oppositionskundgebung zum »Amtierenden Staatspräsidenten« des Landes.
- Unmittelbar darauf erkennt US-Präsident Donald Trump diesen als rechtmäßigen Übergangspräsidenten Venezuelas an.
- Gegen den Putschversuch demonstrierten Zehntausende Menschen im Zentrum der Hauptstadt Caracas. Vom Balkon des Präsidentenpalastes Miraflores hat sich der gewählte Präsident Nicolás Maduro an seine Anhänger gewandt und betont, er sei der einzige rechtmäßige Staatschef Venezuelas. Er kündigte an, alle diplomatischen und politischen Beziehungen mit den USA abzubrechen. Washingtons Diplomaten hätten 72 Stunden Zeit, das Land zu verlassen.
- Verteidigungsminister Vladimir Padrino López erklärt im Namen der venezolanischen Streitkräfte, dass die Armee keinen gesetzwidrig eingesetzten Staatschef akzeptieren werde. »Die FANB verteidigt die Verfassung und ist Garant der nationalen Souveränität«, so der General auf Twitter.
Wer erkennt den Putschpräsidenten Guaidó an, wer nicht?
- Neben den USA haben die US-dominierte Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) und meist rechtsgerichtete Mitgliedern der sogenannten Lima-Gruppe (Brasilien, Kolumbien, Chile, Paraguay, Peru, Argentinien, Ecuador, Guatemala, Costa Rica, Honduras, Panama) Guaidós als neuen Staatschef anerkannt.
-Bolivien, Kuba, Mexiko, Uruguay, Nicaragua, Türkei, Iran und Russland verurteilen den Putschversuch und erkennen Maduro weiter als legitimen Präsidenten Venezuelas an.
- China ruft zur Zurückhaltung auf und warnt besonders die USA vor einer Einmischung. Alle Seiten lehnten entschieden eine militärische Intervention in Venezuela ab. Auch Sanktionen würden nicht helfen, „praktische Probleme zu lösen“.
- Die Bundesregierung erkennt (bisher) Guaidò nicht an, fordert stattdessen „freie und glaubwürdige Wahlen“. „Die Bevölkerung Venezuelas setzt sich mutig für eine freie Zukunft des Landes ein“, so Regierungssprecher Steffen Seibert via Twitter. „Dafür braucht es nun einen politischen Prozess, der in freie und glaubwürdige Wahlen mündet.“ Eine ähnliche Sprachregelung gibt es bei Frankreichs Präsident Macron und bei der EU.
- Das heißt, die Bundesregierung hält sich offiziell zurück. Hinter den Kulissen hat Berlin (die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung mit Büro in Caracas war treibende Kraft) aber Kräfte in der Opposition immer unterstützt, die auf einen Regimewechsel drängen. Im Internet kursieren Fotos von einem Auftritt Guaidós Anfang des Monats gemeinsam mit dem deutschen Botschafter in Caracas, Daniel Kriener. Damals hatte Guaidó erstmals seinen Anspruch auf die Präsidentschaft des Landes erklärt.
Wie rechtfertigt die Opposition den Putschversuch in Venezuela?
- Ein Teil der Opposition erkennt die Präsidentschaftswahlen vom 20. Mai 2018 nicht an. Es handelt sich maßgeblich um Kräfte, die im Bündnis „Tisch der demokratischen Einheit“ (Mesa de Unidad Democrática) zusammengeschlossen waren. Sie argumentieren auf Basis ihrer eigenen Nicht-Anerkennung mit Artikel 233 der Verfassung, nach der bei Vakanz des Präsidenten die Nationalversammlung (AN) einen Interimspräsidenten ernennen kann. Die Logik ist also: AN erkennt Wahl nicht an -> AN erklärt Präsidentenposten für vakant -> AN setzt eigenen Parlamentspräsidenten als Interimspräsidenten ein.
- Zugleich wurde die Wahl am 20. Mai 2018 von allen anderen Gewalten (Exekutive und Judikative, hier ausdifferenziert in Wahlrat und Oberster Gerichtshof) anerkannt. Es ist also ein Konflikt zwischen den Gewalten, der nun mit ausländischer Hilfe zugespitzt wird.
Ist Venezuelas legitimer Präsident Nicolás Maduro isoliert?
- Auf internationaler Ebene nicht, auch wenn die Front der Gegner in Lateinamerika wächst. Wirksam und sichtbar wird vor allem die im August 2017 gegründete Lima-Gruppe, ein Zusammenschluss von 13 lateinamerikanischen Staaten plus Kanada.
- Im aktuellen Konflikt stehen gegen Präsident Maduro: USA, Kanada, EU, Lima-Gruppe. Mexiko ist nach der Wahl des linksgerichteten Andrés Manuel López Obrador aus dem Bündnis ausgeschert. Dafür stützt die US-dominierte OAS die Linie der Trump-Regierung.
- Bei der Amtseinführung Maduros für seine zweite Amtszeit vor zwei Wochen waren Vertreter von 94 Staaten und internationalen Organisationen anwesend. Nach Angaben der venezolanischen Regierung erkennen 112 Staaten die Präsidentschaft Maduros an.
Ist Nicolás Maduro legitimer Präsident?
- Maduro beruft sich auf die Wahlen am 20. Mai 2018. Dabei wurden sechs Kandidaten nominiert: Nicolás Maduro, Henri Falcón, Javier Bertucci, Reinaldo Quijada, Francisco Visconti Osorio und Luis Alejandro Ratti. Die letzten beiden hatten vor der Wahl beschlossen, sich zurückzuziehen.
- Es gibt keine gerichtsfesten Belege für die von der Opposition erhobenen Vorwürfe nach Wahlmanipulationen. Sechzehn politische Parteien nahmen am Wahlkampf teil. Drei Parteien der Opposition – Demokratische Aktion (Acción Democrática, AD), Volkswille (Voluntad Popular, VP) und Zuerst Gerechtigkeit (Primero Justicia, PJ) haben die Wahlen boykottiert. Der selbsterklärte „Interimspräsident“ Juan Guaidó gehört einer dieser Parteien, VP, an.
- Maduro gewann mit 6.248.864 Stimmen, 67,84 Prozent; gefolgt von dem Oppositionellen Henri Falcón mit 1.927.958, 20,93 Prozent. Weiter: Javier Bertucci mit 1.015.895, 10,82 Prozent, und Reinaldo Quijada mit 36.246 Stimmen, 0,39 Prozent. Die Differenz zwischen Maduro und Falcón betrug 46,91 Prozentpunkte.
- Rund 150 Personen haben den Wahlprozess begleitet, darunter 14 Wahlkommissionen aus acht Ländern, zwei technische Wahlmissionen, 18 Journalisten aus verschiedenen Teilen der Welt, ein Europaabgeordneter
und eine Delegation der russischen Wahlbehörde. Anwesend als Beobachter waren auch die LINKEN-MdBs Simone Barrientos und Michel Brandt.
- Die Wahlen wurden nach dem gleichen Wahlsystem wie bei den Parlamentswahlen im Dezember 2015 durchgeführt, bei denen die venezolanische Opposition gewonnen hat. Die Stimmabgabe wird mehrfach (auf Papier und elektronisch) registriert und kann von sogenannten Wahlzeugen aller Parteien in den Wahllokalen beobachtet werden.
- Zahlreiche ausländische Regierungen, darunter auch Deutschland, die USA und viele lateinamerikanische Länder, kritisierten die Wahl damals als unfrei und intransparent. Um die Legitimität des erwarteten Maduro-Siegs zu schwächen, hatten sie keine offiziellen Wahlbeobachter nach Venezuela geschickt. Auch das EU-Parlament gab zuvor bekannt, darauf zu verzichten. Es fehlten die Bedingungen für "glaubwürdige, transparente und umfassende Wahlen", so die Begründung.
Hat Nicolás Maduro die Demokratie in Venezuela abgeschafft und das Parlament entmachtet?
- In Venezuela gibt es nach wie vor formell eine Gewaltenteilung, auch wenn die regierenden Chavisten die Mehrheiten auch am Obersten Gerichtshof innehaben.
- Kritisch zu bewerten ist die Einsetzung der verfassunggebenden Versammlung im August 2017. Dadurch ist das oppositionell regierte Parlament de facto entmachtet, weil die Verfassunggebende Versammlung über dem Parlament steht. In gewisser Weise reagieren die radikalen Teile der Opposition mit der Ausrufung eines Gegenpräsidenten auf die parlamentarische Doppelherrschaft, der sie eine präsidiale Doppelherrschaft entgegensetzen.
Welches Risiko birgt die Anerkennung des Putschversuchs durch die USA u.a.? Wir wahrscheinlich eine Militärintervention? Evtl. auch von Brasilien oder Kolumbien?  Die US-Administration ist mutmaßlich Strippenzieher beim Staatsstreich-Versuch in Venezuela. Den Startschuss für die Proklamation eines Gegenpräsidenten hat US-Vizepräsident Mike Pence gegeben, indem er am 22. Januar um 16:34 Uhr (Ortszeit) in einer Videobotschaft „im Namen von Präsident Donald Trump und dem gesamten amerikanischen Volk (...) die unerschütterliche Unterstützung der Vereinigten Staaten (...) für das Volk von Venezuela“ erklärt hat, „das seine Stimme für die Freiheit erhebt“. Präsident Maduro bezeichnete er in dem knapp zweiminütigen Video als „Diktator ohne legitimes Recht auf Macht“. Maduro habe die Präsidentschaft nie in einer freien und fairen Wahl gewonnen, fügte Pence hinzu.  „Heute erkenne ich den Präsidenten der venezolanischen Nationalversammlung, Juan Guaidó, offiziell als Interimspräsidenten Venezuelas an", heißt es in dem Statement von US-Präsident Donald Trump. Die Nationalversammlung als „einzige legitime Regierungsinstitution“ habe Nicolás Maduros Präsidentschaft für unrechtmäßig erklärt, so dass das Amt des Präsidenten vakant sei.  Noch nicht absehbar sind die Folgen des Abbruchs der diplomatischen Beziehungen zu den USA. Auf Weisung aus Washington weigern sich die US-Diplomaten, der Order von Präsident Maduro Folge zu leisten, das Land
binnen 72 Stunden zu verlassen. Damit gehen die USA unter Trump auf volle Konfrontation mit der venezolanischen Regierung. Agenturen zitieren nicht namentlich genannte US-Regierungsvertreter zu der Frage militärischer Schritte mit der Aussage: „Alle Optionen liegen auf dem Tisch“.  Genau zu beobachten sind daher nun vor allem Truppenbewegungen in Kolumbien und Brasilien sowie des US-Südkommandos. Die Armeeführung in Venezuela hat sich zum wiederholten Male loyal zur Maduro-Regierung erklärt. Welche Position hat DIE LINKE?  DIE LINKE fordert die Bundesregierung auf, den Putschversuch in Venezuela zu verurteilen ebenso die völkerrechtswidrige Anerkennung eines nicht gewählten Gegenpräsidenten durch US-Präsident Donald Trump und die unverhohlenen Drohungen mit militärischen Schritten gegen Venezuela.  Deutschland sich darf nicht zum schweigenden Komplizen der rücksichtslosen und brandgefährlichen Regime-Change-Politik der USA in Lateinamerika machen:
-Die Bundesregierung ist gleichzeitig aufgerufen, auch innerhalb der EU auf Vertreter, wie die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini oder den Ratspräsidenten Donald Tusk einzuwirken. Diese haben sich bereits positiv über den Putschversuch geäußert.  Kritik an Präsident Maduro und der venezolanischen Regierung sind legitim, gerade auch angesichts der schweren wirtschaftlichen und sozialen Krise des Landes. Diese berechtigt jedoch nicht dazu, den demokratischen Weg zu verlassen und einen Putsch zu initiieren. Dem Putschversuch ging eine seit Jahren von der rechten Opposition verfolgte Strategie der Spannung voraus.  Der von den USA unterstützte Putschversuch ist ein eklatanter Verstoß gegen demokratische Regeln und muss als solcher abgelehnt werden. Gleiches gilt für das von den USA angedrohte militärische Eingreifen.  Die Anerkennung eines selbsternannten Präsidenten widerspricht jeglichen demokratischen Grundprinzipien und unterhöhlt das geltende Völkerrecht.  Venezuela braucht keine Eskalation, sondern Dialog und Vermittlung zwischen den politischen Lagern, um die Voraussetzungen für die Bewältigung der sozialen Probleme zu schaffen.
- Es sind die Menschen in Venezuela, und nur sie, die über ihre Zukunft und ihre demokratische Vertretung zu entscheiden haben. Alternativ drohen ein Bürgerkrieg oder eine Militärintervention.